Zeitzeugen – Räume der Erinnerung, 20. Jahrhundert

Zeitzeugen — Räume der Erinnerung

Wir treten in die Zeit der persönlichen Erinnerung ein. Der Autor dieser Zeilen ist im Jahr 1931 geboren. Seine älteren Brüder, Mitglieder der katholischen Jugendbewegung DJK (Deutsche Jugendkraft) erleben 1930 den Abriss der Scheune im Ulner Stift mit, die der Turnhalle Platz macht, die eigens für sie errichtet wird. Es bleibt ihnen nur eine kurze Zeit der Nutzung. Die Nazis erheben ihre brutalen Ansprüche. Ihr Adressat ist die ohnmächtige Pfarrgemeinde St. Laurentius.

Am 1. Januar 1905 hatte die Aufteilung des Stiftungsvermögens stattgefunden: Die Kapelle und das gesamte Areal im Spitalhof mit dem Benefiziathaus (ehem. Spital) und dem sog. Bauernhaus wurden als Katholischer Kirchenfonds Weinheim aus dem Ulner’schen Gesamtvermögen herausgelöst und der katholischen Kirchengemeinde im „Ulner Fonds“ zur Verwaltung zugewiesen. Das restliche Stiftungsvermögen – Gebäude, Grundstücke, Waldbesitz – bleibt als „Freiherr von Ulner’sche Stiftung“ beim Staat Baden und wird 1979 in eine kommunale Stiftung des Rhein-Neckar-Kreises umgewandelt. Seit 1907 gehört die Kapelle nicht mehr zum Bild des Marktplatzes. Der Katholische Kirchenfonds Weinheim stimmt den Neubauplänen des Metzgermeisters Scheuermann, Eigentümer des Hauses Hauptstraße 119, zu: Die Aufstockung des Hauses über dem Marktplatz-Portal zur Kapelle verdeckt mit der hochgezogenen Jugendstil-Fassade den Blick auf die Kapelle, deren Dachreiter nur noch vom oberen Marktplatz aus wahrzunehmen ist.

Damit ist die Spitalkirche St. Wilhelm die verborgene Kapelle geworden.

Die Renovierungsarbeiten ziehen sich bis zum Jahr 1878 hin. Am 10. Oktober dieses Jahres wird die Kapelle vom Freiburger Weihbischof Dr. Lothar Kübel erneut auf den Namen des heiligen Wilhelm geweiht.

Nicht zu fassen, dass das Sicherungssystem gegen die Feuchtigkeit vergessen wurde und die Schäden im Kirchenraum sich dadurch vermehrten. Dieser hatte mit der reichlichen Holzausstattung an Altären, Chorgestühl und Empore eine weiche Akustik. Sie geht mit der Entfernung der angeführten Objekte in der nachkonziliaren Renovierung 1967 verloren. Auch die Farben werden abgenommen. Ein Schock für die Alten, mit der Kapelle Vertrauten. Hauptziel dieses Purismus ist es, die neugotische, historisch späte Ausgestaltung rückgängig zu machen und den Altar für die neue Liturgie (versus populum) in den Mittelpunkt zu rücken.