Sonnenaufgang und -untergang – die Ulner im 18. Jahrhundert
Seine hohe Stellung am Hof und die persönliche Nähe zum Kurfürsten Carl Philipp tragen zu dem Erfolg bei, wieder über den vorübergehend entzogenen Familienbesitz verfügen zu können. Aus den Erträgen der Hospitalstiftung wird ein Geistlicher versorgt, der den Titel Benefiziat trägt und im Spitalgebäude seine Wohnung hat. Er kann sein Brevier an einem Fenster oben beten, das in den Chorraum hinein zu öffnen ist.
Pleikard vermag den Neubau der Kapelle bis zu seinem Tod im Jahr 1748 mit Genugtuung zu verfolgen. Die Konsekration im Jahre 1750, am 10. Mai, durch den Wormser Weihbischof Christian Albert Anton von Merle erlebt er nicht mehr. Er hinterlässt eine große Familie.
Seine Gattin Maria Theresia Josepha von Haxthausen ist mit 39 Jahren, siebzehn Jahre vor ihm verstorben. Die Kirchenbesucher von St. Laurentius passieren im Ostportal (beim Obertor) das von ihm gestiftete monumentale Marmorepitaph von 1731. Die große lateinische Inschrift ist nirgendwo in der Fachliteratur in Übersetzung anzutreffen. Es lohnt sich, diese Lücke zu schließen. (Rudolf Fontagnier, mit dem diese Übersetzung erarbeitet wurde, ist Altphilologe).
Epitaph Text 1731 (Südportal St. Laurentius, Weinheim)
DER DU HIER VORÜBERGEHST
BLEIB STEHEN UND LIES
ES RUHT UNTER DIESEM GRABHÜGEL
MARIA THERESIA JOSEPHA ULNER VON DIEBURG
GEBORENE VON HAXTHAUSEN
DIE DAS VERGÄNGLICHE LEBEN BEGONNEN HAT
IM JAHR 1692, 15. OKTOBER
DIESES HAT SIE BEENDET IM JAHRE 1731, 30. JUNI
AUF DASS SIE ANDERNORTS DAS EWIGE BEGÄNNE
DIE WÜRDIG WAR EINES LÄNGEREN LEBENS
AUF DER ERDE
WENN DER HIMMEL ES NICHT ANDERS
BESCHLOSSEN HÄTTE
UM GLEICHWOHL WEITERZULEBEN
IM EWIGEN GEDENKEN DER NACHFAHREN
IM HINBLICK AUF DIE EINZIGARTIGEN
TUGENDZIERDEN UND
DIE GLANZVOLLEN WOHLTATEN
GEGENÜBER DEN IHREN
IMMERDAR DANKBAREN SINNES
HAT ALS STÄTTE DES GEDENKENS
DIESES MONUMENT AUS MARMOR
ZU ERRICHTEN GESORGT
DER ÜBERLEBENDE GATTE
FRANZ PLEICKARD ULNER VON DIEBURG
WIE DURCH DAS EHELICHE BAND
MIT IHR IM LEBEN VERBUNDEN
SOLL ER AM SELBEN ORT
MIT IHR IM TODE VEREINT SEIN
DASS UNGETRENNT SEIEN IM GRAB
DIE DAS EHEGEMACH TEILTEN
MIT LEIB UND MIT SEELE
IM HIMMEL AUCH VONEINANDER NICHT GESCHIEDEN
WOHIN VON NEUN KINDERN
ZWEI MÄDCHEN VORAUSGESANDT HAT
DEI FROMME UND ZUGLEICH VON GOTT
MIT SEGNUNGEN GEKRÖNTE MUTTER
SIEBEN ÜBERLEBENDE HAT SIE
AUF DER ERDE ZURÜCKGELASSEN
ALS ERBEN IHRER TUGENDVERDIENSTE
AUF DASS SIE SICH BEI SICH HABE
ALS TEILHABER DER HERRLICHKEIT IM HIMMEL
MIT IHNEN BRINGE AUCH DU AM GRAB HIER
DEIN FROMMES GEDENKEN DAR
R.I.P. (SIE MÖGE RUHEN IN FRIEDEN)
Am 18. November 1771 stirbt Johann Wilhelm Ulner von Dieburg, der Sohn Pleikards. Er hinterlässt drei Töchter, keinen Sohn.
Nach dem Gerichtsurteil von 1467 sind indessen die „ulnner und ir erben mannesgeslechte der eltesten einer oder zween“ zur Erbfolge berechtigt. Das Problem löst Wolfgang Heribert von Dalberg, der Ehegatte der ältesten Ulner Tochter Elisabeth Augusta, in dem er eine Fälschung der Urkunde (natürlich nicht eigenhändig) bewerkstelligt. In der notariell beglaubigten Abschrift, deren Original sich im Stadtarchiv Weinheim befindet, steht nun, 1772, „im mannesgeslechte der eltesten einer oder dochter“.
Ein Augenscheintermin zehn Jahre später, 1782, herbeigeführt von Dalbergs Schwager Reichsgraf von und zu Lehrbach, dem Ehemann der jüngsten Ulner Tochter Friederika Philippa bestätigt die Fälschung. Lehrbach bestreitet den Alleinanspruch Dalbergs auf die Erbfolge uxoris nomine (im Namen der Gattin). Er verliert, heute unbegreiflich, den Prozess gegen Dalberg vor dem Reichshofrat in Wien. Wirft dieser Wolfgang Heribert von Dalberg, Geheimer Rat am Hofe des Kurfürsten Carl Theodor in Mannheim, kurpfälzischer Oberappelationsgerichtspräsident den Schatten seiner Machtposition bis nach Wien? So scheint es. Er ist übrigens derselbe, der als Intendant des Mannheimer Nationaltheaters die Aufführung der „Räuber“ auf dieser Bühne 1782 ermöglichte, mit drastischen Eingriffen in das Werk des jungen Friedrich Schiller, der den Repressalien des Stuttgarter Hofs entflohen war.
In Weinheim wäre der umtriebig mächtige Mann arbeitslos, wenn er nicht durch die Fälschung der Urkunde das Recht der Spitalverwaltung uxoris nomine ausübte. Gleichsam als Bestätigung seiner Kompetenz stiftet er 1791 für die Spitalkirche eine Glocke. (Die Armen und Kranken im Spitalgebäude schlafen nach Lehrbachs Bericht auf bloßen Strohsäcken).
Der Glockenstuhl der Kapelle ist längst verwaist, beide Glocken wurden in den Weltkriegen abgenommen, die große (162 kg) 1918, die kleine (81 kg) 1942. Letztere ist die von Dalberg gestiftete und – im Hinblick auf ihr geringes Gewicht – der Einschmelzung entgangen. Das Hospital wird seinem Stiftungszweck, nämlich Arme und Bedürftige zu versorgen, bis ins späte 18. Jahrhundert hinlänglich gerecht. Als die Belegung aussetzt, werden die Stiftungsmittel anderen Bedürftigen der Stadt Weinheim zugewendet. Lehrbach hatte gegen Dalberg keine Chance. Nach Dalbergs Tod (1806) kommt es hinsichtlich der Verfügungsberechtigung über die Stiftung zu einem zähen Rechtsstreit. Kontrovers ansprüchlich sind:
– die Familie Ulner von Dieburg
– die Stadt Weinheim
– der Staat Baden
– das Erzbistum Freiburg
Im Jahr 1854 entzieht der Staat Baden den Ulnern die Verfügungsgewalt über die Stiftung im Hinblick auf die Bestimmungen der Urkunde von 1467, welche die Deszendenz auf die männlichen Erben beschränkt hat. Der Einspruch der Ulner wird zurückgewiesen.
Die Stiftung ist staatliche Distriktstiftung, die Verwaltungsaufsicht hat die Regierung des Unterrhein-Kreises in Mannheim.