
Einen unter den 180 geladenen Gästen bewegten gestern besondere Gefühle: Für Reinhold Wagner, den langjährigen Organisten und Chorleiter von St. Laurentius, begann 1947 seine jahrzehntelange musikalische Laufbahn bei einem Jugendgottesdienst genau in dem Raum, in dem er staunend stand. Die Ulner Kapelle erstrahlt in neuem Glanz und mit ihr Maria Bouvier-Noor und Thomas Noor, ihre Besitzer und Umgestalter. Im Juli 2011 unterzeichneten sie den Kaufvertrag mit der katholischen Kirchengemeinde, im März 2012 begannen die Bauarbeiten unter Leitung von Patrick Coughlan, der die Pläne von Architekt Constantin Görtz umsetzte und einen überaus sportlichen Zeitplan erfüllte. Die Sanierung, verbunden mit umfangreichen Umbaumaßnahmen, wurde tatsächlich noch in diesem Jahr fertig, einschließlich 3800 Steinen des Fußbodens, die auf dem Dachboden entdeckt, Stück für Stück gesäubert, gewachst und handverlegt wurden.
„Constantin Görtz war der erste Architekt, mit dem ich keinen Streit bekommen habe“, scherzte Thomas Noor in seiner Rede. Mehr Probleme waren mit dem Denkmalamt zu klären, das vom Sinn der Freilegung verschiedener Mauerpartien überzeugt werden musste. Es hat sich gelohnt, und Weinheim ist um ein Kleinod in der Altstadt reicher geworden, wie Oberbürgermeister Heiner Bernhard feststellte.
Ein Mauerdurchbruch im südlichen Bereich der Kapelle war von besonderer Bedeutung. Durch einen gotischen Torbogen gelangt man nun direkt von der Kapelle in den Bereich des ehemaligen Hospiz, in dem gemütliche Tische, ein Barbereich und eine Galerie ein stilvolles Ambiente für Festgesellschaften bietet. Wer will, kann künftig beispielsweise in der Kapelle heiraten und gleich nebenan feiern.
Das Ulner Stift hat sich von einem rein sakralen Gebäude in eine multifunktionale Begegnungsstätte verwandelt. Von Konzerten über Lesungen bis zu privaten Feiern ist jede Nutzung denkbar und ausdrücklich erwünscht. Aber auch rein kirchliche Nutzungen werden begrüßt. So feiert die Gemeinde von St. Laurentius beispielsweise am kommenden Samstag in der Kapelle um 7 Uhr ein Rorate-Amt nur bei Kerzenschein, wie Diakon Günter Huth bekanntgab, nachdem er das Ehepaar Noor zum Glücksfall für Weinheim erklärt hatte und anschließend mit Thomas Noor im hinteren Bereich der Kapelle eine Skulptur des Heiligen Wilhelm enthüllte. Dort prägt vor allem die blaue, mit 1001 Sternen bemalte Decke den Chorraum. Für 25 Euro kann jeder einen Stern erwerben, der dann seinen Namen trägt und damit eine gute Tat vollbringen, denn der Erlös wird an vier caritative Einrichtungen gespendet: an die Alzheimer Forschung Initiative, an die Gerdi Gutperle Stiftung, das Kinderhospiz Sterntaler und Plan International.
Gerdi Gutperle wurde gestern auch als eine der zahlreichen Künstlerinnen vorgestellt, die mit Bildern das Innere der neuen Ulner Kapelle prägten. Ihr großes Gemälde eines indischen Tempels hängt an der nördlichen Wand des großen Raums. Die französischen Malerinnen Amaryllis Bataille und Flores haben Darstellungen von Maria und Maria Magdalena, vom Pfau als Wappentier der Ulner oder Illusionsmalerei an der Decke der Kapelle geschaffen.
Die neuen Besitzer verstehen die Ulner Kapelle als Ort der Vielfalt von Kunst, Musik und Architektur. Das Musikprogramm bei der Eröffnungsfeier trug mit Darbietungen des Weinheimer Kammerchors, der unter Leitung von Juliane Oberst sakrale Lieder sang, mit Chansons von Charly Djivanidis und mit dem Duo Oxana Schmiedel (Klavier) und Gesangssolist Helmut Schmiedel (Tenor) entsprechend Rechnung.
Die multireligiöse Zusammenkunft von Menschen sprach Dr. Markus Weber, der durch das Programm führte, gleich zu Beginn an, denn Religionen, so stellte er fest, leben heute Tür an Tür. Ein lokales Thema fürwahr. Den Glauben in Respekt vor anderem Glauben zu leben, ist den Neugestaltern der Ulner Kapelle ein großes Anliegen, wofür sich Oberbürgermeister Bernhard mit Blick auf eine aktuelle Diskussion in seiner Stadt bedankte.
Weinheimer Nachrichten, 15.12.2013
Bilder: Gutschalk